Ein Stück Tessiner Bio-Geschichte

Ein Stück Tessiner Bio-Geschichte

Viele Parallelen durchziehen die Geschichte von Mahler & Co. und dem Familienunternehmen Linea Bio Verde der Familie Cattori in Cadenazzo. Nach einigen Jahren Unterbruch, haben wir die Partnerschaft mit unseren «Gesinnungsgenossen» im Tessin wiederaufgenommen. Mehr als ein guter Grund, dem Bio Gemüsebau- und Handelsbetrieb einen Besuch abzustatten.

Die Wolken hängen tief, als ich an diesem Maimorgen in Erstfeld in den Gotthard-Basistunnel eintauche. Dann, symptomatisch für diesen Frühling, begrüsst mich am Südende der Röhre heiteres Wetter und am Bahnhof Cadenazzo erwartet mich Stefano Cattori mit einer grossen Portion Tessiner Sonnenschein und seinem Elektro-Fahrzeug. Während er mir in der Folge den Handelsbetrieb und den eigenen Bio-Gemüsehof zeigt, bleibt immer wieder viel Zeit für Fragen und Antworten:

Stefano, wenn ich so auf die Felder schaue: Eure Gemüsekulturen sind aktuell deutlich weiter gediehen als nördlich der Alpen. Seid Ihr uns da immer eine Nasenlänge voraus?

Stefano Cattori: Diesen Frühling ist es tatsächlich so. Es war ein sehr milder, relativ trockener Winter und ein schöner Frühling im Tessin. Zudem war es im Norden lange kühl. So konnten wir viele Frühlingsgemüse früher Ernten als im Norden. Bis vor gut 10 Jahren war das noch die Regel. In der letzten Zeit haben aber die grösseren Bio-Gemüsebauern in der Nordschweiz viel in Gewächshäuser investiert und zum Teil werden die Bio-Bestimmungen zur Beheizung über den Winter maximal ausgenützt. Wir halten aber an unserer Philosophie fest, nur im äussersten Notfall zu beheizen, d.h. nur wenn die Gefahr besteht, dass Setzlinge erfrieren könnten. So haben wir diesen saisonalen Vorsprung in den letzten Jahren kontinuierlich preisgegeben.

Schöne, kräftige Broccolipflanzen im ungeheizten Freilandtunnel.

Das ist sehr konsequent und schlussendlich nachhaltiger. Das bedeutet aber auch eine Umsatzeinbusse?

Die Deutschschweiz ist nach wie vor wichtig für unseren Absatz. Als wir 1986 als erster Gemüseproduzent im Kanton Tessin auf Bio umgestellt haben, gab es hier praktisch keine Nachfrage nach Bioprodukten. Wir konnten zwar lokal unter dem damaligen Migros Sano Programm verkaufen, das Gemüse wurde aber als konventionell deklassiert. Und vielen Einkäufer waren damals der Auffassung, das Gemüse und Obst, welches ohne chemische Unterstützung gewachsen nicht gesünder, sondern im Gegenteil, eher schädlich sei, dass es mehr Schimmelsporen und Fäulnisbakterien enthalten könne. Die Nachfrage stieg in der Deutschschweiz nach Schlüsselereignissen, wie der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl und dem Chemiebrand in Schweizerhalle, markant an. So «exportierten» wir unsere ersten grösseren Mengen Gemüse an Bioverteiler nördlich der Alpen.

Heute hat der regionale Absatz an Bedeutung gewonnen. Wir beliefern Marktfahrer, eine Einkaufsgemeinschaft mit ca. 1600 Familien, Institutionen, Restaurants und einige Bioläden im Tessin. In der Beschaffung pflegen wir auch gute Kontakte zu Bioproduzenten in Norditalien, welche unserer Philosophie entsprechen. Direkter Kontakt, kurze Wege und Ressourcenschonung in der Verteilung sind uns sehr wichtig. Und wir freuen uns sehr, dass wir mit unserem Gemüse in der Bio Box bei Mahler & Co. auch bei Konsumenten in der Deutschschweiz direkt vertreten sind.

Du bist mit Bio aufgewachsen und praktisch von Beginn weg Deinem Vater zur Seite gestanden. Was bedeutet Bio für Dich persönlich?

Eigentlich wollte ich nach der Matura ein Studium beginnen und hatte während einem Zwischenjahr auf dem elterlichen Betrieb mitgearbeitet. Aber dann bin ich hängen geblieben und durfte den Betrieb zusammen mit meinen Vater Renzo auf- und ausbauen. Zu Beginn war es eine grosse Aufgabe, die Kunden aufzuklären, was Bio bedeutet. Noch heute sehe ich tagtäglich, wie sich unser Hof in ein Ökosystem einbettet. Die Bodenstruktur macht zum Beispiel sehr viel aus. Wir haben im Tessin immer wieder extreme Niederschläge. Bei Starkgewittern sind 20 Liter pro Quadratmeter in einer bis zwei Stunden keine Seltenheit. Bei unseren konventionellen Nachbarn bilden sich dann sehr schnell richtige Seen auf den Äckern. Unsere Bioböden hingegen können solche Niederschläge problemlos schlucken. Das heisst auch, dass Nährstoffe für die Pflanzen viel besser verfügbar sind.

Heute geht es für mich, wie vorhin schon erwähnt, auch um weitere Aspekte: geographische Nähe, nachhaltige Energiequellen, wie unsere Photovoltaikanlage auf dem Dach des Lagerhauses, die wir künftig auch mit Elektro-Lieferwagen kombinieren wollen und Bio aus persönlicher Überzeugung. Wir haben als Pionier in den 80er-Jahren nicht auf Bio umgestellt, um einen höheren Preis für unser Gemüse am Markt zu lösen, sondern um den Weg im Anbau mit der Natur und ohne Chemie zu gehen.

Vielen Menschen sehen den Aufwand nicht, welcher mit dem Gemüseanbau einhergeht. Unser Freilandblumenkohl zum Beispiel braucht von der Pflanzung bis zur Ernte 3 Monate Pflege. Jede Pflanze wirft bei der Ente nur einen Kopf ab und danach wird der Stock wieder umgepflügt. Im Bio-Anbau kommt am Anfang noch manuelle Unkrautbekämpfung durch jäten dazu.

Versuchtsanbau Bio-Echinacea für Dr. Vogel Echinaceatropfen

Zum Abschluss meines Besuches begeben wir uns noch auf die Gemüsefelder. Die Hofgebäude liegen zwischen mächtigen Bäumen, die Felder sind zum Teil mit Hecken gesäumt und zwischen den Kulturen hat es immer wieder Grünstreifen. Das alles fördert die Biodiversität und die Entwicklung der Bodenlebewesen. Hier begegne ich Renzo Cattor. Mit seinen 69 Jahren trägt er nach wie vor die Verantwortung für den Gemüsebau. Und er wartet mit einer Überraschung auf.

Renzo Cattori: Seit über 30 Jahren habe ich nach den Richtlinien der Bio-Knospe gewirtschaftet und wir haben in dieser Zeit viel Arbeit und Leben in die Böden investiert. Heute gibt es auch im Biolandbau Tendenzen zur Industrialisierung. Kleine Produzenten wie wir müssen innovativ bleiben und uns vom Mainstream abheben. Darum habe ich mich in den letzten Jahren stark mit der biodynamischen Landwirtschaft befasst und im letzten Jahren den Betrieb auf Demeter umgestellt.

Interessant! Ein Knospe-Urgestein stellt auf Demeter um! Und wie hat sich das auf die Gemüsekulturen ausgewirkt?

Der Unterschied ist spürbar! Die Gesundheit und Robustheit der Pflanzen hat sich nochmals erhöht und es macht auch mir Spass, mich mit dem ganzheitlichen Ansatz der Demeter-Landwirtschaft zu befassen. Viele Agro-Ingenieure können das auf dem Reissbrett nicht nachvollziehen. Ich aber finde, wir müssen die Resultate in der Praxis erleben. Bio findet draussen auf den Feldern statt.

Um eine Bio-Geschichte reicher begebe ich mich auf den Rückweg und mit Alptransit bin ich im Nu wieder oltre Gottardo. Es ist weiterhin kühl und hat zu regnen begonnen. Unsere Zusammenarbeit mit Cattoris hat Ende 2018 wieder begonnen und ich erinnere mich an den Text Ihrer Firmen-Weihnachtskarte, die wir bekommen haben:

«Der ökologische Landbau ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Erhalt der natürlichen Ressourcen und unserer Umwelt. Die Bekämpfung der Umweltprobleme und der durch den Menschen verursachten Klimaveränderung ist eine Aufgabe, die alle betrifft.
Als Produzent, Händler und Konsument ist die tägliche Unterstützung des Bio-Landbaus in der Tat ein Beitrag für die Zukunft unseres Planeten»

Vogelperspektive Bio-Gemüsebetrieb der Familie Cattori in Cadenazzo (Magadinoebene)

Text: Stefan Jost

Bilder: Stefano Cattori, Stefan Jost

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