Alles Urdinkel oder was?

Alles Urdinkel oder was?

Einblick in die Dinkelzüchtung

Am letzten Juni Samstag 2018 besuchten wir den Tag der offenen Zuchtgärten der Getreidezüchtung Peter Kunz in Feldbach am Zürichsee. Wo sich der Siedlungsbrei der Goldküste auflockert und sogar noch Landwirtschaftsflächen bis an den See stossen, liegt der wahre Goldschatz des rechten Seeufers: In den Zuchtgärten geht es um nichts weniger als die Zukunft des (Bio-) Getreideanbaus und der Ernährungssouveränität. Unser besonderes Interesse galt natürlich dem Dinkel. Dank den Feldrundgängen und den fundierten Ausführungen der Zuchtexperten, haben wir viel über die Vergangenheit und Zukunft der Getreidezucht gelernt. Einen Teil dieser Informationen haben wir in diesem Blogbeitrag zusammengefasst.

Die Ursprünge des Getreideanbaus

Wann der landwirtschaftliche Anbau erstmals stattgefunden hat, lässt sich bei vielen Getreidegattungen nicht mehr genau sagen. Im Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds (Naher Osten) ist belegt, dass bereits vor mehr als 10'000 Jahren Getreideanbau betrieben wurde. Die ersten angebauten Getreidesorten waren Einkorn, Emmer und Gerste. Wildgetreide wurde schon vor 32'000 Jahren für die menschliche Ernährung genutzt. Für Mitteleuropa ist der Getreideanbau zur Zeit der Pfahlbauer vor rund 7000 Jahren belegt.
Die Getreidefelder der Pfahlbauer sind nicht mit dem reinsortigen Anbau von heute vergleichbar. Vielmehr wurden verschiedene Getreidevarietäten und -Arten im Mischanbau kultiviert. D. h. im gleichen Acker wuchsen nebeneinander Urgetreide wie Emmer, Einkorn, Zwergweizen und natürliche Mutationen dieser Arten. Die Mischkultur bot in dieser Zeit mehr Ertragssicherheit als die «Monokultur» einer einzigen Sorte. Durch die unterschiedlichen Wachstumseigenschaften und Resistenzen der Artenmischung gegenüber Krankheiten und Schädlingen waren Ernteausfälle geringer.

Wildgräser: Vorläufer unserer Getreidesorten

Dinkel entsteht aus Kreuzung

Entgegen der landläufigen Meinung ist Dinkel kein Urgetreide. Wie der Weichweizen ist auch der Dinkel zufällig durch natürliche Kreuzung entstanden. Die «Eltern» des Dinkels sind Emmer und Zwergweizen. Man geht davon aus, dass sich die beiden Ursorten, begünstigt durch den Mischanbau, vor mehreren Tausend Jahren gekreuzt und vermehrt haben. Älteste Dinkelfunde stammen aus Westarmenien (6. bis 5. Jahrtausend v. Chr.). Ab 1700 v. Chr. Ist das Vorkommen in der Deutschschweiz belegt. Über Jahrhunderte war Dinkel – von den Bauern damals schlicht «Korn» genannt – eine der wichtigsten Ackerfrüchte in unseren Breitengraden. Noch 1885 lag Dinkel in der Schweiz mit 33% der gesamten Ackerfläche beim Wintergetreide an erster Stelle.
Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde Dinkel an besseren Standorten durch den ertragreicheren und einfacher zu verarbeitenden Weizen verdrängt. In den raueren und niederschlagsreicheren Gebieten behielt Dinkel jedoch seine Stellung als wichtiges Brot- und Futtergetreide, da er dem Weizen in Winterfestigkeit und Ertrag auf schlechteren Böden deutlich überlegen ist. Im Gegensatz zum modernen Zuchtweizen, bei dem die Züchtung bis in die neuste Zeit vor allem auf Ertragssteigerung und die technischen Bedürfnisse der Backindustrie abzielt, wurde Dinkel in den letzten 100 Jahren züchterisch praktisch nicht mehr bearbeitet. Die vorhandenen Sorten sind also quasi in einem vorindustriellen Stadium stehen geblieben. Was heute in mancherlei Hinsicht für uns als Konsumenten ein Vorteil ist!

Pfahlbauerfeld: u.a. Emmer und Zwergweizen  kreuzen sich spontan dank Mischanbau

Alles nur noch Urdinkel?

Obwohl in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts über 2000 Dinkellandsorten im alemannischen Sprachraum gesammelt und in Genbanken eingelagert wurden, ist Dinkel bis vor 20 Jahren kaum noch züchterisch bearbeitet worden. Das hat zur Folge, dass sich aktuell nur ganz wenige Sorten im Anbau befinden, wobei Oberkulmer und Ostro den aktuellen Markt in der Schweiz beherrschen. Der von der IG-Dinkel ins Leben gerufene «Urdinkel» hat zwar die Popularität und die Verbreitung der wertvollen Getreideart erfreulicherweise stark gesteigert. Ein relativ rigider Sortenkatalog hat aber auch dazu geführt, dass heute praktisch nur noch die beiden erwähnten eng miteinander verwandten Sorten angebaut werden. Die geringe genetische Vielfalt könnte sich längerfristig nachteilig auf die Widerstandsfähigkeit gegenüber Pflanzenkrankheiten auswirken. Weitere «Mängel» der beiden zugelassenen Sorten wie die geringe Standfestigkeit (Umknicken der Halme), abknickende Ähren und Anfälligkeit gegenüber der Gelbrost Pilzkrankheit, erschweren einen weiteren Ausbau der Anbauflächen.
Etwas plakativ ausgedrückt: Die Situation ist in etwa so, wie wenn alle Obstproduzenten nur noch Gala und Golden anbauen würden. Das Ziel der Biozüchtung aber, ist anderes. Durch eine grosse Sortenvielfalt und genetische Diversität kann das Potenzial für standortgerechten Anbau und Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten auf natürliche Weise stark erhöht werden.

Bio Dinkelzüchtung – fit für die Zukunft

Auch wenn die Getreidezüchtung Peter Kunz im Vergleich mit internationalen Saatgutfirmen ein Zwerg ist, hat sie für die Weiterentwicklung des Dinkels eine Pionierrolle und eine wichtige Stellung inne. Das Züchtungsprojekt am Zürichsee gilt europaweit als das grösste!
Die Hauptaufgabe der Züchtung liegt darin, eine neue Vielfalt anbaufähiger, regional angepasster Sorten zu schaffen, ohne den Verlust der hervorragenden Eigenschaften dieser Kulturpflanze. Immer im Vordergrund steht, Sorten mit dinkeltypischem Verhalten bezüglich Wachstum und Abreifung (damit eng verbunden sind die besondere Schmackhaftigkeit, die Bekömmlichkeit und die Verträglichkeit der Dinkelprodukte) und die Verarbeitungsqualität (viel und sehr weiches Klebereiweiss) zu gewinnen.

Die umsichtige Züchtungsarbeit und die fundierte Kenntnis der Eigenschaften und Kulturgeschichte des Dinkels sind bei der Getreidezüchtung Peter Kunz am besuchten Anlass spürbar und erlebbar. Es geht darum, durch schonende Weiterzüchtung das Erbe dieser wertvollen und bekömmlichen Getreidesorte für kommenden Generationen zu erhalten. Wenn man bedenkt, dass von der ersten Kreuzung bis zum Anbau der neu entwickelten Sorten rund 15 Jahre vergehen, ist die Züchtungsarbeit immer eine Investition in die Zukunft. Und im Fall der Biozüchtung auch ein Dienst an der Gesellschaft. Denn während industrielle Saatgutkonzerne Patente auf Saatgut erheben und auf immer weniger genetische Vielfalt setzen, hat die Arbeit der Kleinzüchter und Landwirte zum Ziel, die Früchte ihrer Arbeit allen zur Verfügung zu stellen und die Biodiversität für kommende Generationen zu sichern.
Dass Betriebe wie der von Peter Kunz bei Ihrer Arbeit hauptsächlich auf Stiftungsgelder und Spenden angewiesen sind und vom Markt für Ihre Leistung zu wenig honoriert werden, sollte uns bei jedem Biss in ein Stück knuspriges Biodinkelbrot zumindest ein wenig zu denken geben!

GZPK-Sorte Titan: mit allen dinkeltypischen Eigenschaften

Übrigens...

Für unsere Mahler & Co. Bio-Dinkelspezialitäten baut der Gutsbetrieb Eichberg die Sorte Titan der Getreidezüchtung Peter Kunz an. Das positive Feedback unserer Kunden und die eigenen Erfahrungen im nahezu täglichen Konsum der bekömmlichen Dinkelprodukte zeigen, dass das Zuchtziel – die Erhaltung der ursprünglichen Dinkeleigenschaften – vollumfänglich erreicht wurde. Zudem zeigt sich die Sorte im Anbau bei guten Ertrag robust und gesund!

Quellen und mehr Infos: www.gzpk.ch

Text: Stefan Jost, Mahler & Co.
Bilder: GZPK & Jannis Jost

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