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14.09.2023
Agroforst, was ist das genau?
Agroforst gilt als moderner Trend in der ökologischen Landwirtschaft. V.a. in tropischen Gegenden wird das bewusste Zusammenspiel von Baum- und Strauchkulturen mit Bodenpflanzen erforscht und gepflegt. Dabei blenden wir aus, dass diese Mischkultur bis vor 50 Jahren in der Schweiz in vielen Gegenden der Normalfall war. Streuobstwiesen, die Kombination von Weideland mit Hochstammobstbäumen, und die sogenannten „Wytweiden“ im Jura dürfen im weiteren Sinne auch als Agroforst bezeichnet werden und sind der älteren Generation noch heute ein Begriff.
1951 wurden in der Schweiz über 16 Millionen Hochstamm-Obstbäume gezählt. Obstbaustrategen und der Effizienzdruck in der Produktion lösten dann bis in die 1970er-Jahre ein beispielloses Hochstammsterben aus. Bis 1975 wurden mehr als 11 Millionen Hochstamm-Obstbäume im Auftrag der Schweizerischen Alkohol- und Zollverwaltung ausgerissen oder gefällt. Die staatlichen Ziele: Die Obstproduktion mit Niederstammanlagen effizienter zu machen und die Grundlage der Schnapsbrennerei und des Alkoholelends auszurotten. Diese Massenrodung, auch als Baummord bekannt, wirkt bis in die Gegenwart. Heute gibt es nur noch ca. 2 Millionen Hochstammbäume, Tendenz weiter sinkend. Der damit einhergehende Verlust für die Artenvielfalt bei Insekten, Vögeln und Kleinsäugetieren ist erheblich, ja verheerend.
Was zeichnet Agroforst heute aus? Was sind die Vorteile von Agroforst? Und was ist die Motivation eines Biobauern, diese althergebrachte Anbautradition wieder aufzunehmen und neu zu interpretieren?
Ein Besuch auf dem Bio Agro- und Vitiforstbetrieb von Jürg und Pascale Strauss im zürcherischen Rickenbach gibt Antworten.
Bei unserer Ankunft auf dem Hof ziehen Wolkenschwaden dem nahen Wald entlang. Es ist Anfang Juli und es hat soeben noch geregnet. Nach einem kühlen, nassen Frühling stehen die Kulturen auf den Feldern kurz vor der Ernte. Jürg Strauss führt uns von Parzelle zu Parzelle und erklärt uns die Besonderheiten.
Der praktisch tierfreie Betrieb konzentriert sich auf die Produktion von Getreide, Hülsenfrüchten, Tafel- und Mostobst sowie Wein. Jürg Strauss sagt, dass sich dank der Durchmischung von Getreide- und Hülsenfrüchte-Anbau mit Obstbäumen der Ertrag pro Fläche deutlich steigern und gleichzeitig die Bodenqualität verbessern lässt. Die Obstbäume werden durch die Konkurrenz mit den Feldfrüchten angeregt, noch tiefer zu wurzeln und den Boden damit bis in tiefe Schichten aufzulockern. Das schafft ideale Bedingungen für Bodenlebewesen. Gleichzeitig gehen Ackerpflanzen und Bäume über ihre feinsten Wurzelgebilde und die Mykorrhiza-Pilze symbiotische Verbindungen ein und unterstützen sich dabei in der Nährstoffaufnahme. Das Laub der Obstbäume verstärkt den Humusanbau und bei Hitzeperioden spenden die Bäume Schatten und halten Feuchtigkeit im Boden.
Die Familie Strauss hat für ihren Betrieb die Hülsenfrüchte als ideale Kombinationspartner im Ackerbau wiederentdeckt. Die schwarzen Belugalinsen sehen nicht nur schön aus auf dem Teller, sondern „ersetzen“ zu einem gewissen Grad auch den fehlenden Hofdünger. Der Biobauer erklärt es uns so: „Hülsenfrüchte wie Linsen besitzen die Fähigkeit, im Zusammenspiel mit sogenannten Knöllchenbakterien Luftstickstoff im Boden zu binden. Stickstoff ist für das Wachstum jeder Pflanze unerlässlich. Die Linsenpflanze schaut aber nicht nur für sich selbst. Sie hinterlässt einen Teil des Stickstoffs für Folgekulturen im Boden. Diesen Effekt nennt man Gründüngung.“
Wie das wirkt, können wir mit eigenen Augen sehen: Der benachbarte Dinkelfeld ist zweigeteilt: Auf der einen Hälfte wurden im Vorjahr Linsen angebaut. Die Halme dieser Pflanzen sind höher, die Ähren kräftiger und voller, als die auf der anderen Ackerhälfte.
Die Linsen wachsen in Mischkultur mit Hafer und Leindotter (einer Ölpflanze) an denen sie sich hochranken können. Der eher kühle Frühling war für die Entwicklung nicht so optimal. Der Ertrag wird in diesem Jahr mit rund 200 kg deshalb rund ein Drittel geringer ausfallen.
Hülsenfrüchte wie Kichererbsen oder Linsen werden von der Erwärmung des Klimas und von heissen Sommern eher profitieren. So könnten sie auch auf Schweizer Äckern in naher Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen.
Bei unserem Hofrundgang sind wir jetzt im Rebberg angelangt. Bereits Jürgs Vater hat vor 30 Jahren die ersten pilzwiderstandsfähigen (PIWI-) Weinstöcke gepflanzt. Die Reben stehen in schönen Reihen, immer wieder unterbrochen durch Stauden und Bäumchen wie Mini-Kiwi, Baumhasel oder Spindelobstbäume. Beim Vitiforst-Anbau werden also Reben zusammen mit anderen Baum- und Straucharten gepflanzt, damit sie sich möglichst gut ergänzen und im Idealfall Synergien schaffen: Bäume und Sträucher sind gute Windbrecher, wirken der Erosion entgegen und beeinflussen die Nährstoff- und Wasserversorgung der Reben positiv. Zudem profitiert das Ökosystem Rebberg von den unterschiedlichen Pflanzenarten, die ihrerseits nützliche Tierarten wie z.B. Insekten anziehen.
Im Vitiforst-Rebberg grünt und blüht, kreucht und fleucht es, dass es eine wahre Freude ist. Was für ein Kontrast zu den mechanisierten, baumlosen Monokulturen, die in den meisten Weinregionen leider noch die Regel darstellen!
Mit eleganter Handschrift veredelt Jürg Strauss die resistenten Traubensorten wie Divico, Seyval Blanc oder Regent zu seinen eigenständigen, raffinierten „Weinen der Zukunft“, zum Teil im Barrique aus einheimischer Eiche oder gar im Lärchenfass ausgereift. Jürg Strauss‘ Ziel, den nachhaltigsten Wein der Welt zu kreieren, folgen wir mit Genuss!
Es ist ein Privileg, durch die Arbeit bei Mahler & Co. in so unterschiedliche Produktionswelten der Schweizer Bio-Landwirtschaft eintauchen zu können. Diese Welt ist so divers, innovativ und kreativ, das macht einem ganz viel Hoffnung für die Zukunft. „Die Unterteilung in eine sogenannt „Produzierende Landwirtschaft“ und in „Ökologische Landschaftspflege“ hat mich immer genervt,“ sagt Jürg Strauss irgendwann in einen Nebensatz. Biologische Produktionsmethoden wie Agro- und Vitiforst, welche die Natur miteinbeziehen sind so ungemein produktiv, robust und resilient. Was Pioniere in diesen Bereichen leisten, wird uns unter den veränderten klimatischen Bedingungen von grossem Nutzen sein. Nicht nur im Sinn möglichst gesunder Naturprodukte, sondern auch hinsichtlich des Schutzes der Biodiversität und gesunder Ökosysteme.
Für unsere Bio-Eigenmarke packen wir die schwarzen Belugalinsen vom Agroforst-Pionierbetrieb ab. Aus dem Vitiforst-Rebberg führen wir "Die Weine der Zukunft", Traubensaft und im Herbst für kurze Zeit auch den Bio-Suuser im Sortiment.
Kontakt Blog-Redaktion: blog@mahlerundco.ch
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